Aus Liebe zur Natur?! – Eine Auseinandersetzung mit der „Kreislaufflasche“ von Lidl

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Eine neue Kampagne der Discounterkette Lidl (Schwarz-Gruppe) bewirbt in Deutschland seit April eine scheinbar nachhaltige Produktverpackung ohnegleichen: die sogenannte „Kreislaufflasche“. Die Kampagne mit TV-Moderator Günther Jauch ist multimedial allgegenwärtig und gibt vor, einen transparenten Blick in das konzerneigene Recycling- und Produktionsverfahren der PET-Flasche zu werfen. Jedoch führt schon der Name der „Kreislaufflasche“ hinters Licht: es handelt sich nicht um eine echte Mehrwegflasche, deren Lebensdauer durch mehrere Produktkreisläufe verlängert werden kann, sondern um eine Einwegflasche mit Pfand. Sie kann nach Angaben des Unternehmens durch ein hochoptimiertes technisches Verfahren besonders platzsparend transportiert werden; ist mit einem Gewicht von 27g sehr leicht und wird dem Unternehmen zufolge vollständig aus Rezyklat hergestellt.

Doch hinter dieser offensiven Werbekampagne mit dem noblen Titel „Aus Liebe zur Natur“ verbirgt sich einiges mehr als die Bestrebung der Schwarz-Gruppe einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Zero Waste Germany und andere Umweltschutzverbände wie Greenpeace, die Deutsche Umwelthilfe und auch das Umweltbundesamt und deren Expert:innen für Kreislaufwirtschaft und Verpackungen sehen Probleme in der von der Schwarz-Gruppe beim ifeu-Institut in Auftrag gegebenen Studie. Die CO2-Bilanz der Kreislaufflasche fällt durch die gesetzten Systemgrenzen in der Betrachtung zu günstig aus. Die einseitige Fokussierung auf den CO2-Ausstoß als einziger Indikator für Nachhaltigkeit unterschlägt andere Umwelt- und Gesundheitseinflüsse wie die Toxizität von Kunststoffen. „Eigentlich sollte eine Ökobilanz alle Auswirkungskategorien berücksichtigen, einschließlich Human- und Ökotoxikologie, Erschöpfung natürlicher Ressourcen, Eutrophierung usw., abgesehen von einer Auswirkungskategorie, die von Ökobilanzen noch nicht vollständig erfasst werden kann, nämlich das Entweichen von Einwegprodukten in die Umwelt.“ (Enzo Favoino, ZWE) Zudem gibt Lidl auf seiner Website zu, dass der angeführte Vergleich mit Mehrwegflaschen aus Glas und Plastik kaum aussagekräftig ist, da es sich bei den Vergleichsprodukten um Flaschen mit geringerem Füllvolumen handelt, wodurch sich die Ökobilanzierung zugunsten der Kreislaufflasche von Lidl verschiebt.

Zudem, so kritisieren Expert:innen, lässt sich das konzerneigene Recyclingverfahren nicht auf den gesamten Markt übertragen: Was innerhalb der Schwarz-Gruppe durch eigene Recyclinganlagen und Mineralbrunnen möglich ist – nämlich dass der gesamte Recycling- und Produktionsprozess in einer Hand liegt – ist für andere Getränkemarken kaum umsetzbar (UBA). Auch eine flächendeckende Herstellung von R-PET Flaschen aus 100% Rezyklat ist laut Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung mbH unrealistisch. So bestehen in Deutschland hergestellte PET-Getränkeflaschen durchschnittlich nur zu 34,4 % aus recyceltem PET. Realistische Quoten könnten auf die Gesamtheit der Flaschen bezogen in der Zukunft bei 75% liegen. Material- und Energieverluste lassen sich beim Plastikrecycling jedoch nie ganz vermeiden. Es wird immer Neumaterial zum Ausgleich benötigt, sodass Recycling die Herstellung von Neuplastik niemals vollständig wird ersetzen können, sondern vielmehr auf dessen Fortbestand angewiesen bleibt. Auch für den Verbleib der Plastikflaschen und deren vollständige Rückführung über das Pfandsystem kann Lidl nicht garantieren: 100% Sammelquoten werden wahrscheinlich nie erreicht, sodass immer Plastikflaschen verbrannt werden oder in der Umwelt und den Meeren landen. Dieses Risiko kann nur durch eine Lösung eingedämmt werden: wir müssen aufhören, immer mehr Plastik zu produzieren.

Stattdessen müssen wir auf wiederverwendbare und unbedenklichere Materialien setzen, wie zum Beispiel Glas, oder wann immer möglich auf Verpackungen verzichten. Im Sinne der gesetzlich verankerten Abfallhierarchie (§6 KrWG) sollten Vermeidung und Wiederverwendung immer Vorrang vor dem Recycling haben. Großangelegte Kampagnen wie die von Lidl verschleiern das grundlegende Problem: wozu überhaupt benötigen wir in Deutschland verpacktes Wasser aus Supermärkten und Discountern? Das Wasser, das direkt in über die Leitungen in unsere Haushalte fließt hat in Deutschland eine sehr hohe Trinkqualität und ist keiner Gefahr durch die Belastung von löslichen Giftstoffen aus Plastikflaschen ausgesetzt. Der Bericht „Addressing Single-Use Plastic Products Pollution using a Life Cycle Approach“ des UNEP zieht folgenden Schluss: „Eine wichtige Erkenntnis dieser Arbeit ist, dass „Einweg“ problematischer ist als „Plastik“. Die Mitgliedstaaten der UN werden ermutigt, Maßnahmen zu unterstützen, zu fördern und Anreize zu schaffen, die dazu führen, dass Ressourcen so lange wie möglich mit ihrem höchsten Wert in der Wirtschaft verbleiben, indem Einwegplastikprodukte durch wiederverwendbare Produkte im Rahmen eines Kreislaufwirtschaftskonzepts ersetzt werden. Dies erfordert einen Systemwandel“.

Zero Waste Germany prangert vor allem die politische Agenda hinter der Kreislaufflasche an: Diese Kampagne von Lidl und der Schwarz Gruppe kommt zu einer Zeit an die Öffentlichkeit, da es ein politisches Momentum für die Stärkung von Mehrwegsystemen gibt. Auf EU-Ebene werden in der neuen Verpackungsverordnung verbindliche Quoten für wiederverwendbare Getränkeverpackungen diskutiert: bis 2030 sollen 70% aller Flaschen und Getränkekartons Mehrwegbehältnisse sein. Deutschland hatte sich diese Quote zwar schon bis 2020 als Ziel gesetzt, jedoch hatte sie bisher keine rechtliche Verbindlichkeit. Lidl scheint nun mit der Präsentation einer vorgeblich ökologischen Einwegflasche gezieltes Lobbying gegen Mehrweg zu betreiben und sich mit der Investition in eigene profitable Einwegsysteme von der Einführung von Mehrweglogistiksystemen freizukaufen.

Derartige Lobby-Kampagnen, die irreführend für Verbraucher:innen und Politiker:innen sind, lassen sich nicht vermeiden. Sie sind jedoch umso mehr ein Anlass für Nichtregierungsorganisationen die Unterscheidung von nachhaltigen Lösungen und derartigen „false solutions“ zu ermöglichen und dafür zu sorgen, dass politische Maßnahmen die eigentlichen Ziele der Nachhaltigkeit und der Abfallvermeidung und -reduzierung im Blick behalten.